Die Chaosphase bei Einsätzen
In der Ruhe liegt die Kraft
Was sich wie ein Worst-Case-Szenario für eine Feuerwehr anhört, gibt es tatsächlich. Die Chaosphase bei Einsätzen beginnt mit dem Eintreffen am Einsatzort.
Gruppenführer sitzen im Löschfahrzeug nicht nur vorn, sie sind auch in der Hierarchie der Entscheidung und Verantwortung vorn. Während beim Einsatz mit der Anfahrt die erste Hürde des schnellen Ausrückens bereits genommen wurde, geht es für die Führungskraft erst richtig los.
Lagefeststellung: Was ist los?
Noch herrscht Informationsmangel. Meist liegen nur rudimentäre Informationen über die Art des Alarms, den Einsatzort und ggf. gefährdete Menschen vor. Ist es ein Brand, könnten sich z.B. die Atemschutzträger schon im Fahrzeug ausrüsten. Geht es um einen Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person, muss mit dem Einsatz hydraulischer Rettungsgeräte gerechnet werden.
Mit dem Eintreffen am Einsatzort beginnt die so genannte Chaosphase. Zwar trifft der bildliche Vergleich mit „Chaos“ gefühlt schon zu, aber eigentlich passiert das genaue Gegenteil. Die erste Führungskraft am Einsatzort schafft sofort Ordnung nach einem festgelegten Schema.
In der Regel sind es die Gruppenführer, die als Erste „absitzen“ (aussteigen) und die Lage erkunden. Im Fachjargon verstehen sie darunter:
- Ort, Zeit, Wetter
- Schadenereignis, Schadenumfang, Gefahrenlage
Liegen diese Informationen vor, kommt der nächste Schritt.
Beurteilung: Welche Gefahren drohen?
Der Laie wird jetzt denken:"Das kann doch alles mögliche sein!" Recht hat er. Damit keine Führungskraft im gedanklichen Dschungel möglicher Gefahrenquellen verloren geht, gibt es genau dafür eine Art Reduktion.
Eine Gefahrenmatrix ist sozusagen die Richtschnur für jede Lagebeurteilung und orientiert sich an den Schwerpunkten:"Gefahren durch..." und "Gefahren für...".
Es geht um Fragestellungen, welche Gefahren für Menschen, Tiere, Umwelt und Sachwerte erkannt werden. Was muss zuerst an welcher Stelle bekämpft werden? Wie sind die Einsatzkräfte zu schützen?
Darüber hinaus steht auch immer die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Wird zum Löschen eines brennenden Adventsgestecks das Wohnzimmer mit tausenden Litern Wasser geflutet, ist das Einsatzziel erreicht: Feuer ist aus. Aber die Verhältnismäßigkeit zieht Ärger nach sich.
Auf Grundlage der Lagebeurteilung kristallisieren sich die ersten Entscheidungsoptionen für das taktische Vorgehen heraus.
Entscheidung: Wie gehen wir vor?
Es wird konkret. An dieser Stelle geht es um die Details wie Verteidigung (Sichern, Schützen, Begrenzen), Rettung, Angriff oder Rückzug. Klingt teilweise martialisch, trifft aber das richtige Bild.
Die Entschlüsse fallen: Ziele, Einsatzschwerpunkte, Einteilung der Kräfte, Bewegungsabläufe, Kommunikation und Versorgung.
Jeder Einsatz ist einzigartig und in dieser Hinsicht unvorhersehbar. Nur schablonenhafte Handlungsabläufe gewährleisten einen effizienten Einsatzverlauf. Zumal alle Einsatzkräfte unter einem enormen Zeit- und Handlungsdruck stehen. Besonders wenn es um die Rettung von Menschen geht.
Befehle zur Ausführung
Bisher stehen die Einsatzkräfte in einer festgelegten Antrittsordnung hinter ihren Einsatzfahrzeugen in Bereitschaft. Es sei denn, erste Informationen haben schon während der Anfahrt zu vorbereitenden Maßnahmen nach dem Absitzen geführt.
Die Chaosphase ist abgeschlossen, wenn sie ihre Befehle zur Ausführung bekommen.
Ist zwischendurch ein Ranghöherer eingetroffen, übergibt der Gruppenführer mit einer Lagemeldung die Einsatzleitung an ihn. Rhetoriker haben dabei wenig Spaß. Statt ausgefeilten und mitreißenden Formulierungen geht es nur stichwortartig um die Fakten.
Das war´s dann mit der so genannten Chaosphase. Wer die Abläufe und Anforderungen kennt, für den ist dann natürlich das Bild "Chaos" ziemlich weit hergeholt. Versetzt man sich jedoch in die Lage eines Gruppenführers nach dem Eintreffen am Einsatzort, möchten man eher wenig tauschen.
Die Fähigkeit, in einer solch druckvollen Situation die Ruhe zu bewahren, und binnen kürzester Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird einem nicht in die Wiege gelegt.
Darüber hinaus stehen über allem die Schwere der Verantwortung und die Fürsorgepflicht für die Einsatzkräfte.
Wer allerdings schon einmal live erlebt hat, wie besonnen Führungskräfte bei der Feuerwehr in komplexen Situationen unter Druck agieren, wird ihnen besondere Fähigkeiten bescheinigen.
Ein derartiges Ehrenamt dient nicht nur der persönlichen Entwicklung. Es kann in dieser Hinsicht durchaus Vorteile für die eigene berufliche Perspektive bieten.